Krankheitslast und Prävalenz von ME/CFS | Ursachen von ME/CFS | Schweregrade von ME/CFS | Post-Exertionelle Malaise (PEM) | Trigger für PEM | Symptome von ME/CFS | Diagnosekriterien von ME/CFS | Komorbiditäten bei ME/CFS | Lebenserwartung bei ME/CFS | Pacing | Hilfsmittel | Therapieansätze für ME/CFS | Reha für ME/CFS | Heilung von ME/CFS | Informationen für med. Fachpersonal | Fehlende Anlaufstellen | Informationen zum Herunterladen und Ausdrucken
Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere, chronische Multisystemerkrankung, die durch das Kennzeichen Post-Exertionelle Malaise (PEM) sowie eine Vielzahl von Symptomen gekennzeichnet ist. Die bislang unheilbare Erkrankung beeinträchtigt die Lebensqualität erheblich durch körperliche und kognitive Einschränkungen.
Mehr als 60% der ME/CFS-Betroffenen sind nicht in der Lage, einer Arbeit nachzugehen. Über 25% der Betroffenen sind so stark betroffen, dass sie dauerhaft hausgebunden oder sogar bettlägerig sind. Je nach Schweregrad führt ME/CFS zu Pflegebedürftigkeit oder in sehr schweren Fällen sogar zum Tod.
Die Prävalenz von ME/CFS in Deutschland beträgt 500.000 Erwachsene, Kinder und Jugendliche. In Deutschland ist ME/CFS etwa doppelt so häufig wie Multiple Sklerose und häufiger als MS und HIV/AIDS zusammen. Dies zeigt, dass ME/CFS eine weit verbreitete Erkrankung ist und keineswegs selten ist.
ME/CFS ist zu etwa 80 % postinfektiös und zählt daher zu den postakuten Infektionssyndromen (PAIS). Die Erkrankung tritt meist nach viralen Infektionen wie z. B. Grippe (Influenza), Pfeiffersches Drüsenfieber (EBV), Corona (SARS-CoV-2) oder Atemwegsinfektionen (Enteroviren) auf. ME/CFS kann aber auch durch bakterielle Infektionen, Traumata, Operationen und in manchen Fällen durch Medikamente oder Impfstoffe ausgelöst werden.
ME/CFS lässt sich in vier Schweregrade einteilen, die sich innerhalb folgender Spektren bewegen:
Der Gesundheitszustand der Betroffenen kann durch die Post-Exertionelle Malaise (PEM), auch „Crash“ genannt, oder kurzfristige „Flare-ups“ im Verlauf des Tages stark variieren.
Der FUNCAP55-Fragebogen wurde von Forschenden speziell zur Bewertung der Funktionsfähigkeit bei ME/CFS entwickelt.
Die Post-Exertionelle Malaise (PEM) ist kein weiteres Symptom, sondern das zentrale Herzstück von ME/CFS.
PEM, auch „Crash“ genannt, beschreibt eine oft zeitverzögert eintretende, potenziell langfristige sowie irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustands. Zudem kennzeichnet PEM die Unfähigkeit des Körpers, sich nach Aktivitäten oder Ereignissen angemessen und in einem normalen Zeitraum zu regenerieren.
Beispiel: Stell dir vor, du hast ME/CFS mit moderatem Schweregrad. Bereits innerhalb deines normalen Belastungsniveaus hast du all deine Energiereserven aufgebraucht. selbst wenn du aus der Perspektive eines gesunden Menschen vermutlich noch nicht viel an diesem Tag erledigt oder erlebt hast. Dennoch entscheidest du dich, duschen zu gehen, obwohl du bereits deine individuelle Belastungsgrenze erreicht hast.
Das Duschen, eine scheinbar einfache Alltagsaktivität, belastet deinen Körper durch viele verschiedene Faktoren: die aufrechte Position (Orthostase), das warme Wasser, die duftenden Stoffe und die Geräuschkulisse – all das und mehr stresst deinen Körper zusätzlich. Da dein Körper diese Anforderungen nicht mehr richtig bewältigen kann, überanstrengst du dich, und ein „Crash“ tritt ein. Dieser Crash ist das Ergebnis der Post-Exertionellen Malaise (PEM).
Ein solcher Crash kann eine drastische und langfristige Verschlechterung des Gesundheitszustands verursachen, die möglicherweise irreversibel ist. Wiederholte Crashs führen meist zu einer Abwärtsspirale, die eine unaufhaltsame Verschlechterung des Zustands zur Folge haben kann.
PEM setzt sich aus mehreren Merkmalen zusammen:
Professor Todd E. Davenport beschreibt PEM als „die allgemeine Unfähigkeit der Körpergewebe und -systeme, auf Belastungen außerhalb der Homöostase zu reagieren.“ Homöostase ist die Selbstregulation der Körpersysteme, wie beispielsweise Schwitzen als Reaktion auf Wärme.
Weiterhin erklärt er: „Wiederholte Belastungen außerhalb dieses homöostatischen Gleichgewichts führen zu kumulativen chronischen physiologischen Fehlanpassungen und einem Teufelskreis der Funktionsminderung.“ Kumulativ heißt, dass etwas sich allmählich ansammelt oder steigert.
© Winston Blick
Die Auslöser oder symptomverstärkenden Faktoren für PEM variieren je nach Schweregrad und umfassen:
Folgende Symptome können dauerhaft auftreten oder sich im Zusammenhang mit der Post-Exertionellen Malaise (PEM) verstärken oder neu auftreten:
Für die Diagnostik von ME/CFS wird international meist auf die Kanadischen Konsenskriterien (CCC) zurückgegriffen.
Die Post-Exertionelle Malaise (PEM) ist Pflichtkriterium für die Diagnose ME/CFS. Durch Ermittlung und Bestätigung des Vorliegens von PEM lässt sich ME/CFS von Erkrankungen wie bspw. der Multiplen Sklerose (MS) abgrenzen.
Die Unterscheidung von anderen, insbesondere psychischen Erkrankungen wie Depression oder Burnout, ist von größter Bedeutung, um Fehldiagnosen und in der Folge Fehlbehandlungen wie die kognitive Verhaltens- oder Aktivierungstherapie (CBT/GET), zu vermeiden.
Download (PDF): Fragebogen ME/CFS-Diagnosekriterien (CCC) | Konsensus-Papier: Diagnostik und Behandlung von ME/CFS
Neben der Haupterkrankung ME/CFS können auch Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) auftreten, die bei ME/CFS-Betroffenen häufig oder vermehrt vorkommen.
71% der ME/CFS-Betroffenen leiden an Orthostatischer Intoleranz (OI) , einer Gruppe von Kreislaufregulationsstörungen, die in aufrechter Position bspw. zu Schwindel, Herzrasen, Zittern, Übelkeit, Beklemmung, Ohrensausen und/oder Ohnmacht führen kann.
Weitere Begleiterkrankungen bei ME/CFS:
Bei der Behandlung dieser Begleiterkrankungen sollte immer darauf geachtet werden, dass diese nicht zur Post-Exertionellen Malaise (PEM) führen. Es ist grundsätzlich möglich, jede andere Krankheit zusätzlich zu ME/CFS zu entwickeln. Weitere Erkrankungen schließen sich nicht gegenseitig aus und können gleichzeitig auftreten.
Die Lebenserwartung von ME/CFS-Betroffenen ist tendenziell geringer als die der allgemeinen Bevölkerung. Diese Verminderung der Lebenserwartung ist jedoch schwer vollständig zu quantifizieren, da sie stark von Faktoren wie dem Krankheitsverlauf, Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) und der Qualität der medizinischen Versorgung abhängt. Betroffene, die arbeitsunfähig, bettlägerig oder pflegebedürftig sind, haben oft eine schlechtere Prognose.
Die am häufigsten berichteten Todesursachen bei ME/CFS sind:
Herzversagen und andere kardiovaskuläre Erkrankungen treten häufig bei ME/CFS-Betroffenen auf. Die chronische Belastung des Herz-Kreislauf-Systems durch die Erkrankung könnte das Risiko für Komplikationen durch folgende Mechanismen erhöhen:
Die Forschung zu ME/CFS und Krebs ist begrenzt und die Ergebnisse sind nicht konsistent. Menschen mit ME/CFS könnten ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krebsarten aufweisen, möglicherweise bedingt durch Faktoren wie:
Die Suizidrate bei ME/CFS-Betroffenen ist aufgrund der katastrophalen medizinischen und sozialen Versorgung, der weit verbreiteten gesellschaftlichen Ignoranz und der erdrückenden Schwere der Erkrankung signifikant erhöht. Die oft stark eingeschränkte Lebensqualität, anhaltende Schmerzen und die fehlende Aussicht auf Besserung stellen weitere Faktoren dar.
Die Mehrzahl der Betroffenen berichtet von inadäquater medizinischer Versorgung, langen Diagnosezeiten und mangelndem Verständnis oder unzureichendem Wissen seitens der Ärzteschaft in Bezug auf ME/CFS. Zudem bleibt die soziale Versorgung stark unzureichend, da es an grundlegender Aufklärung der Institutionen fehlt. Diese Faktoren verschlechtern nicht nur die Lebensqualität, sondern können auch die Lebenserwartung sowie die psychische Gesundheit negativ beeinflussen.
Häufige Todesursachen wie Herzprobleme, Krebs und Suizid verdeutlichen die Notwendigkeit besserer medizinischer und sozialer Versorgung sowie psychologischer Unterstützung, um die Krankheitsbewältigung zu erleichtern, falls dies erforderlich ist und von Betroffenen gewünscht wird. Intensivere und verstetigte Forschung ist notwendig, um die Krankheitslast zu adressieren und effektivere Behandlungsstrategien zeitnah zu entwickeln.
Pacing ist eine kontinuierliche Strategie des Aktivitäts- und Energiemanagements – nicht nur als Reaktion auf PEM – welche bei ME/CFS zur Stabilisierung des Gesundheitszustands beiträgt. Der Fokus liegt darauf, die Aktivität so zu dosieren, dass der Gesundheitszustand stabilisiert werden kann, ohne die eigene Belastungsgrenze zu überschreiten. Pacing umfasst:
Das Ziel von Pacing besteht ausdrücklich nicht darin, die Leistungsgrenzen schrittweise zu steigern oder zu erweitern, wie es bei aktivierenden Ansätzen angestrebt wird.
Für ME/CFS gibt es keine zugelassenen Medikamente. In der Veröffentlichung „Interdisziplinäres, kollaboratives D-A-CH Konsensus-Statement zur Diagnostik und Behandlung von Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom“ behandeln die Autoren ausführlich sowohl die nicht-medikamentöse als auch die medikamentöse Off-Label-Behandlung von ME/CFS. Jede Medikamenteneinnahme sollte ausschließlich in Absprache mit dem behandelnden Arzt erfolgen, wobei individuelle Dosierungen, Nebenwirkungen und mögliche Unverträglichkeiten bei ME/CFS berücksichtigt werden müssen.
Für eine Off-Label-Therapie müssen folgende Voraussetzungen erfüllt werden:
Die Charakteristik von ME/CFS macht Rehabilitationsmaßnahmen gänzlich ungeeignet, da sie nicht auf die zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen von ME/CFS abzielen, sondern auf aktivierende Interventionen setzen. Sport oder Therapien, die eine Steigerung der Aktivität anstreben, sind bei ME/CFS kontraindiziert. Betroffene überschreiten folglich in der Reha zwangsläufig ihre täglich variierenden Belastungsgrenzen, da die Zustandsverschlechterung unvorhersehbar ist und meist zeitverzögert auftritt. Dies führt zu einem Teufelskreis aus Post-Exertioneller Malaise (PEM) und stetiger Verschlechterung.
Eine Rehabilitationsmaßnahme für ME/CFS sollte darauf abzielen, den Umgang mit der Krankheit zu verbessern, anstatt konventionelle, aktivierende Therapien anzuwenden, die aufgrund des spezifischen Krankheitsmechanismus, insbesondere des Post-Exertionellen Malaise (PEM), ungeeignet sein können und den Gesundheitszustand verschlechtern könnten. Stattdessen sollten Disease-Management-Programme (DMP) eingesetzt werden, um umfassende Aufklärung über ME/CFS und PEM zu bieten. Psychotherapeutische Ansätze sollten sich auf die Krankheitsbewältigung konzentrieren, wobei Fachkräfte aus der Psycho- und Physiotherapie Unterstützung beim Pacing leisten können, um eine angemessenes Verhältnis zwischen Aktivität und Ruhe zu finden.
Derzeit ist ME/CFS nicht heilbar, und Heilversprechen sind unseriös. Auch wenn gelegentlich Remissionen auftreten oder von Heilungen berichtet wird, sind diese Erfolge äußerst selten und von vielen Faktoren abhängig, wie der individuellen Reaktion auf Therapien und der Krankheitsdauer. Laut einer im Jahr 2019 im Journal of Clinical Medicine veröffentlichten Studie beträgt die geschätzte vollständige Genesungsrate bei ME/CFS nur etwa 5%. Diese Zahlen decken sich mit anderen wissenschaftlichen Untersuchungen, die ebenfalls von ähnlich niedrigen Genesungsraten berichten.
Es gibt keinen universellen Weg zur Heilung, und die Wirksamkeit von Behandlungen kann stark variieren. Die Behauptung, dass es für jeden einen klaren Heilweg gibt, kann Betroffene frustrieren und ihnen ein ungerechtfertigtes Schuldgefühl einreden.
Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V. hat in Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten des Institutes für Immunologie der Charité Informationen zu ME/CFS im Ärzteportal zusammengestellt. Medizinisches Fachpersonal erhält nach dem DocCheck-Login Informationen zu:
Die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS e.V. (ÖG ME/CFS) bietet in Zusammenarbeit mit der MedUni Wien, Abteilung Primary Care Medicine, regelmäßig akkreditierte medizinische Fortbildungen zum Thema Postakute Infektionssyndrome (PAIS) inkl. ME/CFS an. Diese Fortbildungen sind als On-Demand-Kurse über die Homepage der ÖG ME/CFS mit einem DoCheck-Login verfügbar.
Für Kinder und junge Erwachsene bis zum 25. Lebensjahr | MRI Chronisches Fatigue Centrum (MCFC)
In Deutschland gibt es derzeit nur eine einzige spezialisierte Ambulanz für Kinder und junge Erwachsene mit ME/CFS. Diese befindet sich in der Kinderpoliklinik (KIP) des Klinikums rechts der Isar (MRI) der Technischen Universität München (TUM) unter der Leitung von Prof. Dr. Uta Behrends. Die Ambulanz konzentriert sich insbesondere auf ME/CFS, das nach einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) (auch bekannt als Pfeiffersches Drüsenfieber) oder nach einer Covid-19-Erkrankung auftritt. Aufgrund der hohen Nachfrage werden hier ausschließlich Betroffene aus Bayern behandelt.
Für Erwachsene | Charité – Universitätsmedizin Berlin, Immundefektambulanz
Für erwachsene Betroffene gibt es lediglich eine spezialisierte Ambulanz an der Charité Berlin, geleitet von Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen. Diese Ambulanz steht aus Kapazitätsgründen ausschließlich Betroffenen aus dem Raum Berlin/Brandenburg zur Verfügung und beschränkt sich auf die Diagnosestellung. Eine therapeutische Versorgung wird nicht angeboten. Zugangsvoraussetzung ist eine nachgewiesene Infektanfälligkeit sowie ein Infekt als vermuteter Auslöser der Beschwerden. Betroffene, bei denen ME/CFS schleichend und ohne klar erkennbare Ursache auftritt, erhalten keinen Termin.