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Pressemitteilung | Am Internationalen ME/CFS-Tag fordern Erkrankte Handeln der Landesparlamente

Durch Covid-19 erkranken bis zu 100.000 Menschen zusätzlich an ME/CFS

Am 12. Mai ist Internationaler ME/CFS-Tag. ME/CFS steht für die schwere neuroimmunologische Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis, auch Chronisches Fatigue-Syndrom genannt. Die Krankheit beginnt meist akut nach einer viralen Infektion. ME/CFS zerstört Leben, doch wird bislang in der medizinischen und sozialen Versorgung weitgehend ignoriert. Im Rahmen der diesjährigen #MillionsMissing-Protestaktionen schreiben ME/CFS-Erkrankte sowie Betroffene, die unter Langzeitfolgen einer Covid-19-Infektion leiden, gemeinsam Postkarten an die Präsident:innen der Landesparlamente und fordern, die Versorgungskrise anzugehen. Die Aktion ist von #MillionsMissing Deutschland initiiert und wird von allen Patientenorganisationen – der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS, dem Fatigatio, der Lost Voices Stiftung und der Elterninitiative ME/CFS-kranke Kinder und Jugendliche München – unterstützt.

Weltweit sind etwa 17 Millionen Menschen von ME/CFS betroffen, in Deutschland 250.000, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche. Durch Covid-19 wird weltweit – konservativen Schätzungen zufolge – ein Anstieg um 10 Millionen Menschen erwartet, die neu an ME/CFS erkranken. Basierend auf dieser Annahme wird die Zahl der Erkrankten in Deutschland von 250.000 auf etwa 400.000 Erwachsene, Kinder und Jugendliche ansteigen. Frau Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen an der Charité Berlin vermutet, dass bereits Ende 2021 mit 100.000 Betroffenen in Deutschland zu rechnen ist, die nach einer Covid-19-Infektion ein Vollbild der chronischen Erkrankung ME/CFS entwickeln werden.

Junge Menschen erkranken chronisch und erhalten keine Versorgung

Studien zufolge gehört ME/CFS zu den Krankheiten mit sehr niedriger Lebensqualität. Junge Menschen erkranken aus voller Gesundheit heraus so schwer, dass 60 bis 75 Prozent dauerhaft arbeitsunfähig und viele zu Pflegefällen werden. Ein Viertel ist ans Haus gebunden oder bettlägerig, auch weniger schwer Betroffene schaffen es oft nur noch für notwendige Termine nach draußen. Die Betroffenen leiden und verschwinden aus der Schul- und Arbeitswelt sowie ihrem sozialen Umfeld. Obwohl ME/CFS häufig auftritt und seit einem halben Jahrhundert von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannt ist, gibt es keine zugelassene Behandlung, keine biomedizinische Forschungsförderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, keine eigene Leitlinie; darüber hinaus ist ME/CFS nicht Inhalt der ärztlichen Ausbildung.

»ME/CFS-Patienten verschwinden durch die Erkrankung aus der Gesellschaft und müssen über Jahrzehnte in unfreiwilliger Isolation leben. Sie wollen wieder an der Gesellschaft teilhaben und benötigen dafür medizinische und soziale Versorgung sowie biomedizinische Forschung. Die Länder müssen gezielt Maßnahmen vornehmen und gemeinsam den Bund dazu auffordern, die Versorgung der 250.000 ME/CFS-Betroffenen sicherzustellen.« sagt Claudia Schreiner, Sprecherin von #MillionsMissing Deutschland.

Nach Jahrzehnten Stillstand – erste Schritte der Politik 

Das Europäische Parlament hat 2020 eine Entschließung zur Erkrankung ME/CFS verabschiedet. Darin werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, entschlossen die notwendigen Schritte für angemessene biomedizinische Forschungsförderung, Anerkennung und Aufklärung zu unternehmen. Den Antrag unterstützen über hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

 

Bereits 2020 rief #MillionsMissing Deutschland dazu auf, Postkarten an das Bundesministerium für Gesundheit, Minister Jens Spahn und andere Politiker:innen zu senden. Die größte Resonanz gab es von Politiker:innen aus dem Gesundheitsausschuss und den Ländern. Durch diese Unterstützung genehmigte erstmalig der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages einen Förderantrag zur Erkrankung ME/CFS und stellt 900.000 Euro aus Bundesmitteln, verteilt über drei Jahre, für den Ausbau der Forschungs- und Versorgungsstrukturen für ME/CFS-Patienten zur Verfügung. Entstehen sollen ein ME/CFS-Register und eine Biodatenbank.

Postkartenaktion fordert Versorgungsstrukturen in jedem Bundesland

Die diesjährige Postkartenaktion richtet sich an die 16 Landesparlamente. #MillionsMissing Deutschland formuliert in einem begleitenden offenen Brief an die Landesparlamente notwendige Maßnahmen, um Versorgungsstrukturen in jedem Bundesland aufzubauen:

»Wir bitten die 16 Landesparlamente, ihre jeweiligen Landesregierungen zu folgenden Maßnahmen aufzufordern:

  1. Förderung und Intensivierung der Forschung zu den Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten von ME/CFS sowie ME/CFS als Spätfolge einer Covid-19-Erkrankung durch Bundes- und Landesmittel mit dem Ziel, universitäre Forschungsteams an deutschlandweiten Standorten zu diesem Thema zu etablieren.
  2. Erstellung eines Konzepts für die individuelle Beschulung betroffener Kinder mit unterschiedlichen Schweregraden. Dies könnten speziell auf Kinder und Jugendliche ausgerichtete Koordinationsstellen auf Länderebene sein, die Eltern beratend zur Seite stehen.
  3. Einrichtung von Beratungs-/Koordinationsstellen für Betroffene und deren Angehörige zur gezielten Information über die Erkrankung, Empfehlungen von Ärzten und bestehende Unterstützungsangebote.
  4. Schaffung eines deutschlandweiten Netzwerks: Plattform für den Austausch der Wissenschaftler:innen, um Synergien nutzen zu können. (Auf Europaebene erfolgt dies derzeit zwischen einigen wenigen deutschen und europäischen Wissenschaftler:innen durch das europaweite Forschungsnetzwerk zu ME/CFS EUROMENE. Die Forschung wird lediglich durch Stiftungen gefördert.)

Wir bitten die 16 Landesparlamente außerdem, ihre jeweiligen Landesregierungen zur Befürwortung folgender Maßnahmen auf Bundesebene aufzufordern:

  1. Anerkennung der Schwere und Komplexität von ME/CFS durch Aufnahme in den Katalog des Paragraphen 116b SGB V und Aufnahme in das Programm der Ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) um die medizinische Versorgung von 250.000–400.000 Betroffenen zu gewährleisten.
  2. Prüfung geeigneter Möglichkeiten zur Information der Öffentlichkeit über das Krankheitsbild ME/CFS und den somatischen Hintergrund in Form einer Aufklärungskampagne.«

Vollständiges Anschreiben an die Präsident:innen der Landesparlamente: 

http://bit.ly/MMDLandesparlamente

Aufgrund von Covid-19 finden die Proteste auch in diesem Jahr virtuell statt. In den sozialen Medien können die weltweiten Aktionen am 12. Mai unter dem Hashtag #MillionsMissing verfolgt werden.

Über #MillionsMissing Deutschland

Die Initiative #MillionsMissing Deutschland tritt seit 2018 politisch und mit Protestaktionen für eine gleichwertige Versorgung ME/CFS-Erkrankter ein. Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS ist offizieller Partner.

Die Kampagne #MillionsMissing wurde 2016 von der gemeinnützigen Organisation #MEAction mit Sitz in Los Angeles ins Leben gerufen. Seitdem organisieren Erkrankte und eine wachsende Zahl Unterstützer in immer mehr Ländern auf der ganzen Welt #MillionsMissing-Aktionen. Der Name #MillionsMissing steht für die 17–30 Millionen Menschen weltweit, die aufgrund von ME/CFS ihr Leben vermissen, von ihrem Umfeld vermisst werden und für die Millionen fehlender Forschungsgelder.

Für ausführlichere Informationen stellen wir Ihnen gerne bei Bedarf unser Grundlagenpapier zur Verfügung.

Pressekontakt

#MillionsMissing Deutschland 
Claudia Schreiner

kontakt@millionsmissing.de